Wie Friedensau schwierige Zeiten überwand
24. Jan. 2024 / Campusleben / Events
Als Auftakt zu den Jubiläumsveranstaltungen fand am 14. Januar 2024 in der Hochschulbibliothek eine Lesung mit Kirchenhistoriker und Friedensau-Kenner Dr. theol. Johannes Hartlapp statt. Er sprach zur Dekade „1940er und 1950er Jahre“ der Friedensauer Geschichte. Ein Zeitraum, in dem zwei politische Systeme und das Kriegsende erlebt wurden und Konsequenzen für den Lehrbetrieb des Predigerseminars und die Existenz der heutigen „Anstalten Friedensau“ nicht ausblieben. Dennoch: Friedensau wurde bewahrt und gesegnet.
Der Vortrag war mit Spannung erwartet worden. Eine größere Anzahl Interessierter aus Friedensau und den umliegenden Orten hatte sich eingefunden, um den Ausführungen zuzuhören. Journalist Stephen Zechendorf – er schreibt für die Burger Volksstimme – berichtete am 16. Januar 2024 in einem größeren Artikel von dieser Veranstaltung. Dank freundlicher Genehmigung des Verfassers und des Verlages der Burger Volksstimme, soll an dieser Stelle der Artikel zitiert werden. Kleinere Ungenauigkeiten sind korrigiert und meist mit eckiger Klammer angezeigt worden (Zitat):
Friedensau stand schon mehrmals vor dem Aus
Wie das Predigerseminar der Siebenten-Tags-Adventisten den Nationalsozialismus überstehen konnte und wie die Freikirche aus der Bodenreform herauskam.
Von Stephen Zechendorf 16.01.2024, 21:11
Friedensau. In diesem Jahr feiert Friedensau 125-jähriges Bestehen. Doch es gab Zeiten, in denen das Predigerseminar auf der Kippe stand. Eine Anzeige in der Deutschen Allgemeinen Zeitung (DAZ) im Jahr 1933 zeigt, dass schon nach drei Jahrzehnten hätte Schluss sein können: „Ein Landeserziehungsheim mit allem Inventar und Viehbestand“ stand zum Verkauf. Wie kam es zur Rettung?
„Große Gebäude sind zur Unterbringung von 300 bis 500 Schülern sind vorhanden. Außerdem schöne Beamtenwohnungen. Eigene Lichtanlage, Wasserwerk sowie Bäckerei, Tischlerei, Gärtnerei, Dampfwäscherei, Seifenfabrik, Desinfektionshaus, Gärtnerei, Landwirtschaft und auch eigene Jagd“, hieß es da. Für die „im Herzen Deutschlands“ gelegenen etwa 570 Morgen Land wurden 600.000 Reichsmark aufgerufen.
„Das ist unverkennbar Friedensau“, sagt Johannes Hartlapp, Kirchenhistoriker an der Theologischen Hochschule Friedensau. „Kein Jahrzehnt in der Geschichte Friedensau war so spannungsgeladen wie die Zeit zwischen 1940 und 1950“, so Hartlapp am Sonntag bei einem Vortrag in der Hochschulbibliothek: „Es ging um Sein oder Nichtsein.“
Verbot in den 30er-Jahren
Es war schon vorher turbulent an der „Klappermühle“, die Ludwig Richard Conradi 1899 für 5.000 Euro [sic! | 50.000 Mark] kaufte und ein Jahr später dem [1900 gegründeten] Deutschen Verein für Gesundheitspflege e.V. zu Friedensau, Kreis Jerichow I (DeVauGe) zum Aufbau eines adventistischen Predigerseminars übertrug.
Ende 1933 wurden die Siebenten-Tags-Adventisten verboten, berichtet Johannes Hartlapp: „In Friedensau wurde die Tür zur Kapelle versiegelt und alle deutschen Schüler nach Hause geschickt. Zehn Tage später jedoch nahm die Gestapo das Verbot genauso unvermittelt wieder zurück. Die Gründe sind fast vollständig unbekannt.“
Als Reaktion schrieb die damalige Kirchenleitung der Adventisten in Deutschland in Bezug auf Friedensau: „Wir haben an all unsere Gemeindeglieder einen Aufruf zum Volksentscheid und zur Reichstagswahl gesandt, diesem Entscheid in bejahendem Sinne zuzustimmen. In Friedensau, das eine adventistische Kolonie ist, wurde 100% mit Ja gestimmt.“ Hartlapp schränkt ein: Es habe damals auch Widerspruch gegeben.
Die Angst der Kirchenleitung, hatte „aus heutiger Sicht fatale Fehlentscheidungen“ zur Folge, so Hartlapp: Zum einen wurde besagte Anzeige geschaltet. „Später wurde gesagt, man wollte nur mal austesten“, sagt Hartlapp. Es gebe keine Hinweise darauf, ob es damals Interessenten gab.
Ebenfalls beschloss die Kirchenleitung wegen der politischen Lage die Einstellung der theologischen Ausbildung in Friedensau. Es blieben nur kaufmännische und hauswirtschaftliche Lehrgänge erhalten. Zwar gab es auch einen neuen Lehrgang für [Buch-]Evangelisten, doch die Schülerzahl nahm mehr und mehr ab. Im Jahrgang 1935/36 waren es nur noch 47. […] Auch die Wiedereinführung des allgemeinen Wehrdienstes im Jahr 1935 ließ die fünfjährige Pastorenausbildung fast unmöglich erscheinen. Ohne [die] Pastoren[-ausbildung] wäre Friedensau nur ein Postkartenmotiv gewesen, so Hartlapp.
Ein „bombensicherer“ Ort
Sommer 1939: Viele Lehrer waren einberufen worden. Bereits seit 1938 wurden Gebäude der Missionsschule zur Unterbringung von Sudetendeutschen genutzt. Angemietet wurden sie durch die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV).
Erneut zogen dunkle Wolken über Friedensau auf: Im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung beriet man über die acht verbliebenen Missionsschulen und kam zu dem Ergebnis: Die Schließung wird für Ostern 1940 angeordnet. Doch: „Stattdessen passierte in Friedensau nichts“, berichtet Johannes Hartlapp: „Ostern ging ohne Reaktion vorüber.“
Aber andere Begehrlichkeiten an Friedensau kamen auf. Im Mai 1943 kündigte die Regierung die Übernahme Friedensaus an, um eine staatliche Heimschule einzurichten. Es gab konkrete Pläne für alle Gebäude. Allerdings war von einer Anmietung die Rede, weil der Finanzminister kein Geld für einen Kauf hatte. Der Deutsche Verein für Gesundheitspflege als Eigentümer war jedoch nicht bereit, Friedensau zu übergeben. Man argumentierte: Friedensau habe große Bedeutung über Deutschland hinaus. Der Schlusssatz im Schreiben des DeVauGe mag Wirkung gezeigt haben: „Ich bin überzeugt, dass der Führer uns Friedensau nicht wegnehmen würde, wenn man ihm alles ausführlich berichten würde“, heißt es da.
Nur langsam steigerten sich die Schülerzahlen wieder. Erst im Jahr 1942 zählte die Schulleitung mehr als 100 Schüler. „Wahrscheinlich, weil Friedensau damals als bombensicher galt“, mutmaßt Historiker Hartlapp.
Im August 1943 standen Ärzte der Wehrmacht vor der Tür. „Unter ihnen Oberstabsarzt Dr. Nauwerk“, schlägt Johannes Hartlapp das nächste Kapitel der Friedensauer Chronik auf: Die Wehrmacht wollte Friedensau beschlagnahmen. Am 22. August 1943 wurde der Lehrbetrieb eingestellt. „Das Beste, was passieren konnte“, sagt Hartlapp. Denn eine Beschlagnahme war weder eine Übernahme noch ein Verkauf. Die alten Rechtsverhältnisse blieben bestehen. Friedensau wurde Lazarett.
Aus Sekte wird Kirche
Kriegsende: Am 5. Mai 1945 zogen die sowjetischen Soldaten im Ort ein, genau zur Zeit eines Gottesdienstes. Bewusst sei daraufhin das Lied „Ich bete an die Macht der Liebe“ angestimmt worden, denn der Tonsatz stamme von einem russischen Komponisten. Ein russischer Offizier sei hereingekommen und habe nur gesagt: „Weitermachen!“ Man hatte das Glück, seit 1941 Familien aus Lettland und Litauen zu beherbergen, die Russisch verstanden. Friedensau wurde beschlagnahmt. „Auch in Friedensau gab es Übergriffe und Vergewaltigungen“, so Hartlapp: „Das war später Tabuthema.“
Das Lazarett wurde in nur 14 Tagen weitestgehend aufgelöst, die Häuser standen leer. Die Soldaten richteten sich mit dem Friedensauer Inventar lieber in Hütten in den [umliegenden] Wäldern ein.
Neue Gefahr durch Bodenreform
Mit der folgenden Bodenreform [1945/46] drohte neue Gefahr: Eigentümer von mehr als 100 Hektar Land wurden enteignet, außer, es war Kirchenbesitz. Eine solche Anerkenntnis hatte die in Deutschland [zu der Zeit] als Sekte geltende Adventistengemeinde nur in Bayern beantragt und von Prinzregent Luitpold eine Genehmigung als Privatkirchengesellschaft erhalten. Das Papier war nichts wert, das wusste auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Dr. Erhard Hübener. Es reichte ihm dennoch 1946 als Anerkennung der kirchlichen Institution aus. Hübener schien der Bestand Friedensaus als kirchliche Institution wichtig.
Ihm war es auch zu verdanken, dass der Lehrbetrieb in Friedensau wiederaufgenommen werden konnte. Im November 1946 erklärte Hübener auf einen Antrag, er habe keine Einwände. Auch seitens des Lehrplans und Personals bestünden keine Bedenken; einer Wiedereröffnung am 1. Juli 1947 stehe nichts im Wege. Da war auch ein sowjetischer Arzt machtlos, der noch am 27. Juni 1947 erklärte, Friedensau solle Lazarett werden.
Noch in den 1950er-Jahren gab es Versuche von DDR-Regierungsorganen, Einfluss auf Friedensau zu nehmen. Doch die von Hübener erreichte Zulassung durch die sowjetische Militäradministration [SMAD] Friedensaus als erste kirchliche Ausbildungsstätte in der sowjetisch besetzten Zone, erwies sich als eine Art „Siegel der Unantastbarkeit“, sagt Hartlapp: „Wenn es in Friedensau ein Denkmal geben sollte, dann für Erhard Hübener.“
Stephen Zechendorf, Burger Volksstimme vom 16. Januar 2024, mit freundlicher Genehmigung des Verfassers und des Verlages Burger Volksstimme. Nachbearbeitung: Andrea Cramer.