Vergessene Größe: Dr. Andreas Hoenes

21. Nov. 2024 / Wissenschaft & Forschung

Wenn wir im Jubiläumsjahr die Geschichte von Friedensau lebendig werden lassen, staunen wir über die Gründerpersönlichkeiten, denen wir viel zu verdanken haben. Neben Ludwig Conradi, dem geistigen Vater und Namensgeber, und Otto Lüpke, dem vielseitig begabten ersten Lehrer und Schulleiter, sollten unbedingt noch zwei Namen genannt werden: Wilhelm Krumm, der Gutsverwalter, und Dr. Andreas Hoenes, der Leiter des Sanatoriums. Diesen vier Persönlichkeiten mit ihrer großen Begeisterung, Kreativität, Hingabe und ihrem fachlichen Können verdanken wir das rasante Wachstum des Ortes im ersten Jahrzehnt.

Die beiden zuletzt genannten Personen sind lang vergessen. Es lohnt sich, sie in Erinnerung zu rufen. Die Eltern von Dr. Andreas Hoenes stammten aus der Rheinpfalz und siedelten 1852 in die USA über. Damals zog es viele Pfälzer aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in die USA. Der Vater arbeitete als Schneider und betrieb später in Milwaukee, Wisconsin, ein Fotostudio. Als dritter Sohn wurde Andreas (Andrew) am 6. August 1869 in Milwaukee geboren. Nach der High School unterrichtete er einige Jahre als Lehrer, bevor er an der State University of Michigan in Ann Arbor Medizin studierte und am 27. Juni 1889 mit Erfolg abschloss. Danach gehörte er sechs Jahre lang zum medizinischen Personal des Battle-Creek-Sanitariums in Michigan, wo er die Behandlungsmethoden und das Denken des Mediziners John Harvey Kellogg kennenlernte. Hier heiratete er Julia Bucher, eine diplomierte Krankenschwester, ebenfalls deutscher Herkunft, die ihre Ausbildung in Battle Creek erhalten hatte.

Gemeinsam zogen sie nach Hot Springs in South-Dakota, wo Andreas Hoenes vier Jahre lang als Arzt bei der Hot-Springs-Company tätig war. Von dort wurde er nach Europa gerufen. Ähnlich wie bei Heinrich Franz Schuberth, hatte Ludwig Richard Conradi Dr. Hoenes bereits in Battle Creek kennengelernt und benötigte nun seine Hilfe beim Aufbau einer medizinischen Abteilung in Deutschland. 1899 kam Dr. Hoenes mit seiner Familie in Hamburg an und reiste von dort aus zu verschiedenen Städten in Mitteleuropa, wo er Vorträge zu gesunder Lebensweise hielt und die Gemeinden mit dem geplanten Sanatorium bekannt machte.

Im Januar 1900, also knapp zwei Monate nach Schulbeginn, traf die Familie in Friedensau ein. Hier engagierte er sich in den nächsten sieben Jahren für die Ausbildung zukünftiger Krankenschwestern und Pfleger. Aus dem Nichts baute er den Krankenpflege-Kurs auf und plante das Naturheil-Sanatorium nach den damals modernsten Kriterien. Mit der Fertigstellung des Sanatoriums im Sommer 1902 übernahm er zusätzlich die Leitung und gründete gemeinsam mit Oberschwester Creeper die Friedensauer Schwesternschaft. Seine Frau stand ihm als Krankenschwester und Beraterin zur Seite.

Es ist dem Einsatz von Familie Hoenes zu danken, dass sich das Friedensauer Sanatorium in kurzer Zeit so sprunghaft entwickelte und zu einer renommierten Naturheilstätte in Deutschland wurde. Mit seiner Persönlichkeit prägte Dr. Hoenes die ersten Friedensauer Jahre entscheidend. Er war ein unverwechselbarer Mensch. Auf alten Bildern ist die sportlich-drahtige Figur des Arztes in seinem weißen Anzug mit dunklen Seitenstreifen gut zu erkennen. Ein Zwirbelbart zierte sein Gesicht. Die Augen strahlten voll Energie. Als eine der neuesten Behandlungsmethoden nutzte Dr. Hoenes in Friedensau die Elektrizität und experimentierte mit entsprechenden Behandlungsgeräten und Apparaturen.

Die Patientenzahlen stiegen, sodass schon bald ein Bettenhaus gebaut werden musste, die spätere Villa, das heutige Sophie-Hoyer-Haus. Beide Gebäude verband ein Wintergarten, dessen Dach als ausgedehnter Liegeplatz konzipiert war. Zusammen mit dem Park, dem Luftbad und Lufthütten am Waldrand hatte sich innerhalb von gut fünf Jahren ein Naturheil-Sanatorium etabliert, das weit über die Grenzen der eigenen Kirche Bekanntschaft, Anerkennung und Freunde fand. Nach sieben erfolgreichen Jahren und einer geregelten Übergabe an seinen Nachfolger Dr. Erich Meyer verließ Familie Hoenes Friedensau.

Nun standen erst einmal ganz andere Interessen auf der Agenda. Die Familie besuchte das Heilige Land, in dem schon erste Friedensauer Krankenschwestern arbeiteten. Die Reise führte sie an weitere biblische Orte in Ägypten, Griechenland, Italien, ins Osmanische Reich und an andere historisch interessante Orte in Europa und Asien. Schließlich kehrte die achtköpfige Familie nach kleiner Weltreise wieder in die USA zurück. Es scheint, als sei Dr. Hoenes auf der Suche nach einer neuen Herausforderung gewesen. Nach kurzen Aufenthalten in Wisconsin und Iowa und ließ sich Familie Hoenes schließlich 1910 in Murray, Utah, nieder.

1916 eröffnete Dr. Hoenes in Salt Lake City, Utah, ein kleines Sanatorium, das Utah Sanitarium, in dem seine Frau als medizinische Oberschwester tätig war. Dieses Hospital leitete er nach den gleichen Prinzipien wie in Friedensau und verbesserte die Behandlungsmethoden mit elektrischem Strom. Er erfand einen verbesserten medizinischen Stromregler, Electrotone genannt, den er 1913 patentieren ließ und mit dem sich in seiner Praxis und im eigenen Sanatorium bislang unerreichte Behandlungserfolge erzielen ließen. Als Mitglied viele medizinischer und wohltätiger Organisationen fand Dr. Hoenes in der Fachwelt der USA große Anerkennung. Er praktizierte bis zum 85. Lebensjahr und starb im hohen Alter von 91 Jahren am 29. Mai 1952 in Salt Lake City, Utah.

Dass er Friedensau auch im hohen Alter nicht vergessen hatte, dokumentiert ein Schreiben zum 50-jährigen Jubiläum 1949, dem er ein Foto seiner diamantenen Hochzeit hinzufügte und das er mit den lang vergessenen deutschen Worten signierte: „Herzliche Grüsse u[nd] Glückwünsche [von] Ihrem Doctor u[nd] Frau Hoenes“ (Text: Dr. Johannes Hartlapp).

Bild der THH Friedensau
Der amerikanische Arzt Andreas Hoenes mit seiner Frau Julia und ihren sechs Kindern. Er leitete sieben Jahre das Sanatorium in Friedensau.
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Behandlungszimmer mit physikalischen Geräten im Sanatorium
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Dr. Hoenes mit Rad (2. v.r. | links neben ihm Otto Lüpke)
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