Student beschreibt sein Masterstudium
02. Mai. 2023 / Lernen & Studieren
„Seit Oktober 2021 bin ich Student im berufsbegleitenden Masterstudiengang Musiktherapie an der Theologischen Hochschule Friedensau (ThHF).“ So beginnt der Text von Lars Christiansen, der seine Erlebnisse und Erfahrungen des Studienalltags in Friedensau beschreibt. Sein Blogbeitrag „Vom Studium der Musiktherapie an einer christlichen Hochschule“ wurde vor wenigen Tagen bei der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft veröffentlicht. Der Beitrag ist gut zu lesen und vermittelt viele Facetten des Studiums auf einem christlichen Campus. Wir veröffentlichen, mit Genehmigung des Verfassers, diesen Blogbeitrag auch auf unserer Hochschulseite:
„Sie jauchzen mit Pauken und Harfen und sind fröhlich mit Flöten“ – Vom Studium der Musiktherapie an einer christlichen Hochschule
Seit Oktober 2021 bin ich Student im berufsbegleitenden Masterstudiengang Musiktherapie an der Theologischen Hochschule Friedensau (ThHF). Eine Besonderheit der ThHF ist, dass sie in Trägerschaft der Siebenten-Tags-Adventisten steht, das heißt, ihr Profil und Leitbild bauen auf dem Fundament des Glaubens an Jesus Christus auf. Was bedeutet der religiöse Hintergrund konkret für den Studienalltag der Musiktherapiestudent:innen? Um hinsichtlich dieser Frage zu einer Antwort zu gelangen, ist es hilfreich, einen Blick auf die Angebote zu werfen, welche die Hochschule für die Begegnung mit Religion bereithält.
Wenn mensch den Campus der ThHF mit offenen Augen betritt, fallen einem ziemlich bald die Inschriften an den Gebäuden auf, wie zum Beispiel die am Bibliotheksgebäude. Dort steht an der Wand neben dem Eingang das berühmte Bibelzitat „Im Anfang war das Wort“ geschrieben. Ort und Inhalt des Zitats befinden sich hier eindeutig im Einklang miteinander. An anderen Gebäuden gibt es weitere Inschriften, wie „Mache dich auf und werde Licht“ oder „Bete u. Arbeite!“ Wenn mensch nun weiter über den Campus der ThHF spaziert, fällt ein Ort eindrucksvoll, durch seine besondere Vielfalt auf: der Bibelgarten. In diesem botanischen Garten sind tatsächlich all die Pflanzen vorzufinden, die auch in der Bibel erwähnt werden. Informationstafeln helfen einem dabei, den Überblick zu behalten und vermitteln umfangreiche Kenntnisse, mit Hilfe derer die nächste Prüfung im Fach biblische Botanik angetreten werden kann. Ein Fach, welches im Gegensatz zur biblischen Botanik tatsächlich auf dem Lehrplan der Musiktherapie-Student:innen steht, ist Spiritualität. In diesem Fach erfährt mensch Wissenswertes über die bekannten Religionen und begibt sich in die Auseinandersetzung mit Fragen aus dem Themenkomplex Spiritualität/Religion. Auf dem Campus werden einem immer wieder Menschen begegnen, die entweder Mitarbeiter:innen oder Student:innen der ThHF sind. Wenn mensch sich mit diesen unterhält, fällt auf, dass die ThHF ein internationales Profil hat und Weltoffenheit hier gelebt wird. Ein Gebäude, welches mensch sicherlich auch als den Mittelpunkt einer christlichen Hochschule verstehen kann, ist die Kapelle. In der Kapelle fällt der Blick sogleich in Richtung der eindrucksvollen Fensterrosette, die sich in der Wand über dem Podiumsbereich befindet. Wenn die Sonne durch das bunte Glas der Rosette bricht, erscheint ein Detail, welches in die Rosette eingearbeitet ist, noch stimmiger. Auf dem Glas der Rosette liegt ein Netz, welches an einer Stelle gerissen ist. Dieser Riss steht symbolisch für die Zerrissenheit der menschlichen Existenz, da auch im Leben nicht alles heil ist. In der Mitte der Rosette befindet sich das Symbol für Jesus Christus, der uns in unserer Unvollkommenheit nahe ist. Im übertragenden Sinne lade ich die Leser:innen nun zu einer Veranstaltung ein, die regelmäßig in der Kapelle stattfindet: die Begegnung unter dem Wort (BuW). Bei der BuW handelt es sich um eine Veranstaltung, die wöchentlich in der Kapelle der Hochschule stattfindet, wobei die Teilnahme an der Veranstaltung freiwillig ist. Einerseits ist die BuW eine Informationsveranstaltung für Themen rund um die Hochschule und andererseits eine religiöse Feier. Dies wird am Singen religiöser Lieder, dem Abhalten von Gebeten und der Andacht (ähnlich einer Predigt) deutlich. Die BuW steht jedes Mal unter einem bestimmten Motto, welches auch themengebend für die Ansprache ist. Ich habe die BuW bereits mehrfach besucht und wurde durch das dort gesprochene Wort inspiriert, wie im folgenden Beispiel deutlich wird.
„Zwischen Widerstand und Anpassung“ (Fest und treu wie Daniel)
Rolf Pöhler, Professor für Systematische Theologie, veranschaulichte hier anhand der Geschichte des Daniel (Daniel 3, LU), wie dieser im Laufe seines Lebens durch Widerstand und Anpassung herausfordernde und lebensbedrohliche Situation bewältigte und dabei dennoch sich und seinem Glauben treu blieb. Daniel wurde verschleppt und in ein Umerziehungslager gebracht, in welchem ihm seine bisherigen kulturellen, religiösen und politischen Überzeugung ab-erzogen und durch neue fremdbestimmte ersetzt werden sollten. Hätte er sich diesen äußeren Zwängen widersetzt, wäre dies höchstwahrscheinlich sein Todesurteil gewesen. Er erhielt sogar einen neuen Namen, wobei der eigene Name sicherlich auch als das Synonym der eigenen Identität par excellence verstanden werden kann. Daniel passte sich äußerlich also an, was sein Überleben sicherte. Innerlich jedoch geschah etwas ganz anderes. Er bewahrte seine Überzeugungen nicht nur, sondern wurde in diesen auch noch standhafter. Durch die Situationen, die Daniel erleben musste, wurde er in die Auseinandersetzung mit sich selbst geschickt. Er konnte seine Glaubenssätze entwickeln und ihm gelang eine innere Abwehr von äußeren Zuschreibungen. Sein Glauben entwickelte sich für ihn zu einem, wie wir es heute nennen, Resilienzfaktor.
Zweifelslos hat Daniel aus seinem Glauben unermessliche Kraft geschöpft, denn seine Widerstandsfähigkeit ist außergewöhnlich und seine Entwicklung beeindruckend. Inspiriert durch den hierauf folgenden Austausch mit Prof. Pöhler begann ich mir weiterführende Gedanken zu machen. Insbesondere fragte ich mich, wie ein zeitlicher Transfer der Geschichte des Daniels unter Berücksichtigung einer musiktherapeutischen Perspektive aussehen könnte. Daraus ergab sich die Frage: Was hätte Daniel in der Musiktherapie gemacht? Mir kamen verschiedene musiktherapeutische Interventionen in den Sinn, von denen Daniel meines Erachtens profitiert hätte. (An dieser Stelle erscheint eine im Vergleich zum Originaltext gekürzte Fassung des Abschnitts musiktherapeutische Interventionen.)
In der Musiktherapie hätte Daniel Transzendenz erfahren.
Höchstwahrscheinlich kennen viele der Leser:innen das folgende Phänomen selbst. Mensch ist so in das Hören eines Liedes vertieft, dass sich das Zeitempfinden entscheidend verändert. Entweder scheint die Zeit ganz „still zu stehen“ oder „wie im Flug“ vergangen zu sein. Diese Wahrnehmungsveränderung kann sowohl beim Hören als auch beim Spielen von Musik eintreten. Sie ist Ausdruck einer Bewusstseinserweiterung, die durch die Musik möglich wird, und kann im Sinne einer transzendenten Erfahrung verstanden werden, wie Navid Kermani feststellt: „Denn die Zeit zu vergessen bedeutet nichts anderes, als für einen langen oder kurzen Augenblick den Tod zu überwinden“ (Kermani 2022: 114f.). In der Musiktherapie tritt dieses Phänomen oftmals in der freien Improvisation auf. Aber auch beim Hören von Musik kann es passieren, dass die Zeit stehen bleibt. Die Pianistin Hélène Grimaud spricht genau hierüber und beschreibt eine Intention ihres Spiels mit folgenden Worten: „Meine Hoffnung in jedem Konzert ist es, dass ich genug Gefühl ausdrücke und dadurch die Zeit für einen Moment stillsteht“ (Grimaud 2019). Unter Berücksichtigung des vorausgegangenen Textabschnitts, kann diese Aussage als Einladung für eine Erfahrung der Transzendenz verstanden werden. Ich durfte Hélène Grimaud in der Laeiszhalle in Hamburg live erleben und tatsächlich konnte ich dort erfahren, wie die Zeit stillzustehen schien. Wer selbst einen Versuch wagen möchte, dem empfehle ich Mozarts - Piano Concerto No.23 in A Major K. 488: II Adagio in der Interpretation von Hélène Grimaud zu hören. Nehmen Sie sich die Zeit, schalten sie alle anderen Geräuschquellen stumm, schließen sie die Augen und begeben sich auf die Reise. Mit diesem kurzen Exkurs in rezeptiver Musiktherapie endet die Ideensammlung der musiktherapeutischen Interventionen. Es folgt eine abschließende Übersetzung der Geschichte des Daniel auf meinen Arbeitsbereich.
Die innere Freiheit zu behalten, auch wenn einem die äußere Freiheit genommen wurde, ist eine Thematik, welche mir in meinem Arbeitsbereich, der Psychiatrie, in vielfältiger Weise begegnet. Damit meine ich nicht den gesetzlich angeordneten Freiheitsentzug aufgrund von fremd- oder selbstgefährdendem Verhalten, sondern die Behandlung psychischer Leiden, welche die Freiheit der Seele der Patient:innen bedrohen. Oftmals begegnen mir Menschen, deren Lebensläufe tragische Ereignisse und/oder bedrückende Umstände aufweisen, deren Kenntnis den Leidensdruck nachvollziehbar machen. Auslöser für psychische Leiden sind multifaktoriell bedingt. So können unbefriedigte Bedürfnisse zu Krankheit führen oder bedrohliche Situationen, die zu bewältigen waren, Traumata auslösen. Oftmals sind Symptome dann als Ausdruck einer zu Grunde liegenden Erkrankung zu verstehen. Die Bearbeitung eines psychischen Leidens ist zumeist ein langer Weg, auf dem schmerzhafte Schritte zu gehen sind, bevor sich neue heilsame Orte auftun. An dieser Stelle möchte ich mich nun der Erzählung des Daniels bedienen. Für die Patient:innen war eine Anpassung (wie im Sinne Daniels) an die bedrohlichen Umstände als Überlebens und / oder Bewältigungsstrategie notwendig, auch wenn diese Anpassung das Entstehen eines seelischen Leidens bedingte. Dass die Patient:innen nun eine Behandlung antreten, bedeutet nichts Geringeres, als dass sie Widerstand gegen eben die Krankheit leisten, welche damit droht, ihnen ihre wahre Identität „zu rauben“. In der Behandlung erfolgt die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit, hierbei wird auch die Frage nach dem „Ich“ gestellt. Dadurch werden unter anderem Prozesse der Identitätsfindung angestoßen, welche vielleicht erstmalig auftauchen oder ohne bedrohliche Fremdeinflüsse gestellt werden. Die Patient:innen erforschen im Rahmen der Behandlung ihre Persönlichkeit und entdecken dabei ihr Selbst. Für diesen Prozess kann gerade die Musiktherapie hilfreich und ausschlaggebend sein, wie anhand der im vorausgegangenen Abschnitt aufgeführten Interventionen deutlich geworden ist. Aufbauend auf diese Interventionen, kann im Laufe der Behandlung selbstwirksam ein biographisches Narrativ erarbeitet werden, welches in Kohärenz zur eigenen Identität steht. Der Transfer hin von einer religiös zu einer spirituell motivierten Betrachtungsweise besteht nun darin, dass derjenige, der nicht an einen Gott glaubt, möglicherweise ja den Glauben an „etwas“ anderes (wieder) findet; zum Beispiel den Glauben an sich selbst – ein Vorgang mit wahrhaft heilsamer Wirkung.
Ich danke Isabella Raab und Rolf Pöhler für den spannenden Austausch und die hilfreichen Hinweise.
Literaturverzeichnis:
Grimaud, H. (2019): Ich möchte die Zeit still stehen lassen. Euronews. URL: https://de.euronews.com/kultur/2019/04/04/helene-grimaud-ich-mochte-die-zeit-still-stehen-lassen [Stand: 09.04.2023].
Kermani, N. (2022): Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen. Fragen nach Gott. 3. Auflage. München: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG.
Lutherbibel (2017): Hiob 21. Deutsche Bibelgesellschaft, [online] Hiob 21 | Lutherbibel 2017 :: ERF Bibleserver [Stand 13.04.2023].
Im Original zu lesen (Zugriff: April 2023):
https://www.musiktherapie.de/blog/campus/2023/04/vom-studium-der-musiktherapie-an-einer-christlichen-hochschule/
Der Autor des Blog-Beitrages Lars Christiansen wurde in der Hansestadt Hamburg geboren und ist in ihr aufgewachsen – als ein waschechter „Hamburger Jung“. Den Hamburger Hafen begreift er als „Tor zur Welt“, von dem aus das Leben seinen fließenden Lauf nimmt. Er ist gelernter Heilerziehungspfleger und hält einen Bachelorabschluss in Gesundheits- und Sozialmanagement. Lars Christiansen arbeitet als Fachtherapeut für Musik in der Oberberg-Fachklinik Marzipanfabrik (Kinder- und Jugendpsychiatrie) und der Oberberg-Tagesklinik Hamburg (Tagesklinik für Erwachsene mit psychischen Erkrankungen). Derzeit absolviert er ein Masterstudium in Musiktherapie an der Theologischen Hochschule Friedensau und berichtet in seinem Blog-Beitrag über seine Erfahrungen an dieser Uni.