Ja, das ist es, was ich machen möchte
27. Jul. 2023 / Lernen & Studieren
Als du nach Friedensau kamst, hattest du schon einen Bachelor in der Krankenpflege.
Wie kam es dazu, in Friedensau Internationale Sozialwissenschaften zu studieren?
Ich hatte bereits als Krankenschwester gearbeitet. Dann kam das Jahr 2008, als der Zyklon Nargis Myanmar traf und dabei über 80.000 Menschen ums Leben kamen. Ich entschied mich, nicht mehr im Krankenhaus, sondern vor Ort in der Gesundheitsfürsorge zu arbeiten. Ich war als Krankenschwester bei „Ärzte ohne Grenzen“ aktiv und habe später mit anderen zusammen Nahrungsmittelversorgungsprogramme koordiniert. Dabei merkte ich, dass mein Bachelor nicht genügt, um dauerhaft in diesem Bereich arbeiten und Verantwortung übernehmen zu können. Und so schaute ich mich nach Masterprogrammen um. Ich hätte in Bangkok studieren können. Über eine Bekannte, die schon in Friedensau studierte, hatte ich von dem Masterprogramm in Friedensau gehört. Hier gab es für mich zwar kein Vollstipendium, aber man sagte mir, dass man mit Studierendenjobs das Studium zum Teil finanzieren könne. Ich habe mich dann für Friedensau entschieden, weil ich auf Europa neugierig war, auf die andere Kultur und die andere Art zu studieren. Und mich hat der weite sozialwissenschaftliche Ansatz in Friedensau gereizt. Viele Freunde von mir sind im Gesundheitsbereich geblieben, aber ich wollte Sozialwissenschaften näher kennenlernen.
Haben sich deine Erwartungen, mit denen du nach Friedensau gekommen bist, während des Studiums erfüllt?
Oh – meine Erwartungen wurden sogar übertroffen! Eigentlich wollte ich ja nur den Masterabschluss machen. Und das hat auch geklappt. Aber nebenbei habe ich gearbeitet, zum Beispiel im Seniorenheim. Schon vor den Vorlesungen war ich zwei Stunden im Seniorenheim und habe von 6 bis 8 Uhr ältere Menschen versorgt. Das war nicht immer leicht, aber ich habe dabei viel gelernt. Der Umgang mit älteren Menschen ist hier ganz anders als in meiner Heimat. Ich hatte den Eindruck, sie wurden besonders respektvoll behandelt. Sie konnten zum Beispiel beim Essen aus verschiedenen Gerichten auswählen. Und das passt zu dem, was wir im Studium gelernt haben, wo es darum ging, die Unterschiedlichkeit der Menschen in den Blick zu nehmen. Bevor ich nach Friedensau kam, lag mein Fokus beim Arbeiten immer darauf, was ich zu tun habe. Nach dem Masterstudium frage ich viel öfter, warum ich dies oder jenes tue. Da hat sich meine Art zu denken verändert. Was mir in Friedensau gut gefallen hat, war der Mix an unterschiedlichen Professoren. Dadurch haben wir verschiedene Perspektiven kennengelernt.
Wie ging es nach deinem erfolgreichen Studienabschluss für dich weiter?
Ich begann als Projektmanagerin in einem Projekt von ADRA Nepal. Das war 2016, und wir haben dort in den vom Erdbeben betroffenen Regionen an der Existenzsicherung der Menschen gearbeitet. Ein Jahr später war ich für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen in Myanmar tätig, wo ich mich auf den Bereich „Cash-Transfer“ spezialisiert habe.
Was genau war deine Aufgabe dort?
Kurz gesagt, ging es darum sicherzustellen, dass Unterstützungsgelder bei denen ankommen, für die sie bestimmt sind. In meinem aktuellen Projekt vergeben wir zum Beispiel Fördergelder von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau, die für schwangere Frauen und Mütter mit Kindern unter zwei Jahren die Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischer Betreuung verbessern sollen. Ich muss dafür sorgen, dass das Geld sicher und effizient innerhalb einer bestimmten Zeit tatsächlich bei der Zielgruppe ankommt. Das kann ich natürlich nicht allein, sondern es gibt ein Team, mit dem ich alles Schritt für Schritt koordiniere.
In welchem Projekt arbeitest du jetzt gerade?
Ich bin seit letztem Dezember für UNICEF im Sudan tätig. Aufgrund der aktuellen Krise mussten wir leider vor einigen Wochen das Land verlassen, aber ich arbeite von Myanmar aus weiter. Wir koordinieren das Projekt, das ich gerade erwähnt hatte, ein weiteres für Schulen und noch eines für Schulkinder direkt.
Was erlebst du als Herausforderungen in deinem Arbeitsfeld?
Zum Beispiel jetzt in meiner Arbeit im Sudan: Ich kenne den Background dort natürlich nicht so gut wie vorher, als ich in Projekten in meinem Heimatland gearbeitet habe. Ich bin mit der Kultur nicht so vertraut. Ich muss sehr viel lesen, aber die Menschen im Sudan sind freundlich und helfen mir. Dann sind da manchmal Sprachbarrieren in der internationalen Zusammenarbeit, weil nicht alle Englisch sprechen.
Was macht für dich deine Arbeit bedeutsam, warum ist sie es wert, die Mühen einzugehen?
Ich mag meine Arbeit sehr. Als ich anfing, dachte ich: „Ja, das ist es, was ich machen möchte“. Ich mag es, mit den Menschen zu reden. Als wir nach dem Zyklon Nargis in Myanmar mit dem Boot in den betroffenen Dörfern der Deltaregion unterwegs waren, 10 bis 12 Stunden am Tag, spürte ich keine Müdigkeit. Ich war hoch motiviert. Inzwischen arbeite ich die meiste Zeit im Büro, aber ich sehe, dass meine Arbeit wirklich die erreicht, die die Hilfe am meisten brauchen. Das gibt mir Antrieb. Und ich arbeite auch gern hier im UNICEF-Team. Ich stehe für die Grundwerte der Organisation: Fürsorge, Respekt, Vertrauen, Verantwortung und Nachhaltigkeit. Ich sehe das in meiner Arbeit und das hält mich bei der Sache. Es gibt viele Herausforderungen in dieser Arbeit, aber diese Grundwerte sind für mich eine gute Orientierung.
Das Interview führte Thomas Spiegler im Mai 2023.