Fritz Bergner – vergessen?!
27. Jan. 2021 / Wissenschaft & Forschung
Der Typ eines Agitators war er nicht. Fritz Bergner gehörte eher zu den zurückhaltenden Menschen. Aufgewachsen in Berlin, absolvierte er am Ende des Ersten Weltkrieges eine Ausbildung zum Schlosser, wurde nach dem Ablegen der Gesellenprüfung aber arbeitslos, so wie viele andere junge Menschen in den frühen 1920er Jahren. Auf Suche nach Arbeit ging er ins Ruhrgebiet. Arbeit fand er in Mönchen-Gladbach nur kurzzeitig, dafür aber Martha, die Frau fürs Leben. 1932 wurden sie Siebenten-Tags-Adventisten.
Das Leben verlief normal bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht 1941. Er zögerte bei der Einberufung, den Eid auf Adolf Hitler abzulegen. Nur aufgrund der Drohungen seiner Vorgesetzten gab er nach. Er spürte, wie schwer es als Soldat sein würde, seinem Gewissen treu zu bleiben. Seine Bitten, am Sabbat keinen Dienst leisten zu müssen, blieben ohne Erfolg. Fritz Bergner war nicht der große Kämpfer, er litt sehr unter der Situation. Im Verhör gab er später zu Protokoll, dass er nie auf einen Gegner schießen würde. „Ich würde mich in solch einem Falle eher erschießen lassen, als die Waffe gegen den Feind zu erheben.“ Aber dazu kam es nicht. Sein Platz in der Wehrmacht in Kiew war nicht die Frontlinie. Zum Verhängnis wurde ihm eine Feldpostkarte, die er an Bekannte in Wesermünde schickte und auf der er vermerkte, dass er um seines Glaubens willen am liebsten, „wenn es möglich wäre, meinen Dienst bei der Wehrmacht aufgeben möchte“. Irgendjemand las die Postkarte und zeigte Fritz Bergner an. Das Militärgericht ließ nicht lange auf sich warten. Aus der einen Postkarte formulierte der Gerichtsherr folgende Anklage:
„Der Pionier Fritz Bergner … ist in Untersuchungshaft zu nehmen, weil er dringend verdächtig ist, im Jahre 1941 und Anfang 1942 öffentlich aufgefordert und angereizt zu haben, die Erfüllung der Dienstpflicht in der Deutschen Wehrmacht zu verweigern, und versucht zu haben, öffentlich den Willen des Deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen und zu zersetzen, indem er sich als Angehöriger der Adventsgemeinde bekannte, immer wieder Kameraden und dritten Personen gegenüber erklärte, daß er bei einem Einsatz an der Front nicht kämpfen werde, den auf den Führer und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht geleisteten Fahneneid nicht anerkenne und immer wieder versucht, am Sonnabend keinen Dienst zu machen, und insbesondere auf seine Kameraden in diesem Sinne einwirkte und auf offenen Postkarten seinen Ansichten verbreitete.“
Ein militärärztliches Gutachten bewertete ihn als schizoiden Psychopathen, einseitig Verrannten, religiös verschrobenen Fanatiker und bescheinigte ihm eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit im Sinne des Gesetzes. Damit bewahrte ihn der Arzt vor dem sofortigen Erschießen. Fritz Bergner wurde aus dem Wehrdienst entlassen und umgehend zur Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Mönchengladbach überführt. Der Aufenthalt in der Gestapohaft währte nur kurz. Bereits am 10. Juni 1942 findet sich die Eingangseintragung im KZ Dachau. Wir wissen nicht, welche Arbeiten er dort zu verrichten hatte. Doch überlebte er dort nur acht Monate. Als Todesdatum wurde seiner Frau der 8. Januar 1943 angegeben, als Todesursache „Versagen von Herz und Kreislauf bei Lungenentzündung“ mitgeteilt. Fritz Bergner wurde nicht einmal 40 Jahre alt.
Sein Schicksal ist in seiner Kirche nicht überliefert! Erst 60 Jahre nach dem Ende des Krieges formulierte die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten ein Schuldbekenntnis. 15 Jahre später, zum Holocaust-Gedenktag 2020 folgte eine offizielle Erklärung zu den Opfern des Holocaust, wobei verschiedene Opfergruppen namentlich aufgezählt wurden, die eigenen adventistischen Opfer sind aber nicht erwähnt! Es ist höchste Zeit, den Vergessenen wieder Namen und Erinnerung zu geben.
Dr. Johannes Hartlapp
Johannes Hartlapp, Dr. theol., geb. 1957, Theologiestudium in Friedensau, Leipzig, Bracknell (England) und Halle/Saale, ist seit 1995 Dozent für Kirchengeschichte und Ökumenik an der Theologischen Hochschule Friedensau.
(Die erwähnten Stellungnahmen der Freikirche der STA sind unter https://www.adventisten.de/utility/dokumente-und-stellungnahmen/ zu finden. Die Unterlagen zu Fritz Bergner werden im ITS Bad Arolsen aufbewahrt: https://collections.arolsen-archives.org/archive/9979043/?p=1&s=Fritz%20Bergner&doc_id=9979045 )