Fernab vom Getriebe der Welt

21. Nov. 2024 / Wissenschaft & Forschung

„Friedensau liegt mitten im Wald. Den dunklen Kiefernwald säumen leuchtend hellgrüne Birken ein, und ab und zu steht eine trotzige Eiche dazwischen. Die Ihle fließt am Orte vorbei zwischen saftigen, mit bunten Blumen geschmückten Wiesen. Erlen und Weiden wachsen am Ufer des träge dahinfließenden Wassers, zuweilen verbirgt auch hohes Schilf seinen Lauf.“* Ein beschaulicher Ort, inmitten des Nirgendwo: „Friedensau liegt fernab vom Getriebe der Welt.“ Auch heute noch wähnen sich Besucher Friedensaus fernab der Zivilisation. Der Erwerb eines Geländes inmitten kleinerer Dörfer und dichtem Wald war bewusst gewählt, weil die ländliche Lage als Gewähr dafür galt, ungestört von „der Welt“ arbeiten und lernen zu können. Der Winter gestaltete sich teilweise abenteuerlich. „Es kam öfter vor, daß im Winter Schnee auf den Betten lag.“ Verbesserungspotenzial bot das gesamte Gelände. „Die übernommenen Gebäude waren schlecht, ganz besonders schadhaft aber war der Kuhstall. Ein neuer Stall wurde gebaut. Kaum war das Vieh hinübergebracht worden, als ein Brand den alten Stall vernichtete. Zwanzig Hühner fanden in den Flammen ihren Tod. Die Friedensauer haben den Brand als ein Warnungszeichen von Gott aufgefaßt. Deshalb wurde gleich am anderen Tag die Beschaffung von Spritzen und sonstigem Feuerlöschgerät, vor allem aber die Gründung einer freiwilligen Feuerwehr beschlossen und auch durchgeführt. Selbstverständlich mußte ein Spritzenhaus gebaut werden, um die Geräte aufzunehmen. Aber auch die Hühner fanden in dem neuen Gebäude Unterkunft und Kutschen und Wagen einen Schutz gegen die Unbilden der Witterung.“ Dennoch dachte man auch an die Zukunft, und es wurde sogar ein Altenheim ins Auge gefasst. „Alle Bedenken wurden durch den Glauben an die Hilfe Gottes überwunden und es wurde der Bau unseres Altersheims beschlossen. Umgeben von grünem Wald und duftigen Wiesen bot und bietet es vielen lieben Altchen aus unserer Gemeinschaft einen angenehmen Aufenthaltsort.“*

Dieser angenehme Aufenthaltsort blickt nunmehr auf 125 Jahre Geschichte zurück. Viele sind selbst Teil dieser Geschichte gewesen. So auch die 15-jährige Wilfriede Michael, Tochter des (1945 verschleppten und vermutlich im gleichen Jahr verstorbenen) Schulleiters Wilhelm Michael, die 1947 in einem Schüleraufsatz aus der Entstehungsgeschichte Friedensaus berichtete. Auch wenn hier nur Auszüge wiedergegeben werden können – Eindruck hat der Aufsatz gemacht, sodass der Lehrer darunter die Notiz hinterließ: „Und ich möchte das Werk auch sehen.“

Die Geschichte dieses abgeschiedenen Örtchens irgendwo zwischen Kiefern und ausgefahrenen Sandwegen wirkt aber weit darüber hinaus. So hat Wilfriede, dem Vorbild ihres Vaters folgend, schließlich als Lehrerin (Biologie, Chemie) auf der Marienhöhe unterrichtet. Ebenso prägten ihre Tochter (Edelgard Ninow-Woysch) und Enkeltochter (Mareike Baumann) als Lehrerinnen auf der Marienhöhe Generationen von Jugendlichen.

Es gibt viele Geschichten, die von der langjährigen Wirkenszeit unserer Einrichtungen berichten. Aber ganz gleich wie abgeschieden dieser Ort auch sein mag – möge er in einer Weise auffallen, dass Menschen sagen: „Ich möchte das Werk auch sehen“ (Text: Bernd Müller, Ph.D.).

* Zitate: Wilfriede Michael, 1945/1947.

Bild der THH Friedensau
Der Autor des Textbeitrages: Bernd Müller, Ph.D., der Leiter des Archivs
Bildrechte: Theologische Hochschule Friedensau
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Postkarte, gestaltet von Stephan Hartmann, Friedensau
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Familie Michael (ca. 1939) von links: Getrud Michael, die Töchter Wiltrud und Wilfriede, Dr. Wilhelm Michael
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Wilfriede Michael: „Ein Lebens- und Arbeitsbericht“ (1945)
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