Die Bibel als ein Lebensbuch
16. Apr. 2020 / Wissenschaft & Forschung
An der Theologischen Hochschule Friedensau wird der Bibel als dem Wort Gottes ein hoher Stellenwert eingeräumt. Die Bibel kann man wissenschaftlich mit historischen oder literaturwissenschaftlichen Mitteln erforschen. Dabei ist der Kontext der biblischen Bücher zu beachten, die geschichtliche Situation, die Kultur, die Sprache und alles, was hilfreich sein kann, um zum besseren Verständnis des antiken Textes zu gelangen. Sich hineinzuversetzen in die Welt der Bibel, um ihre Botschaften aus der Perspektive der ursprünglichen Empfänger zu erleben, ist die Voraussetzung für eine angemessene Anwendung heute.
Was ist aber das Selbstverständnis der Bibel? Zu welchem Zweck meinten die 40 verschiedenen Autoren der Bibel, ihre Bücher verfasst zu haben? Die Bibel besteht aus verschiedenen literarischen Gattungen wie Narrative, Briefe, Gleichnisse, Gesetze, Visionen, Lieder, Sprüche und Weiteres. Sicherlich kann jede Gattung einem eigenen Zweck folgen, aber eine große Mehrheit des biblischen Materials besteht aus sinnstiftenden Erzählungen. Da werden Ereignisse berichtet aus dem Leben von Abraham, Mose, David, Daniel, Petrus, Paulus, Jesus – um nur einige zu nennen. Die ausgewählten Texte aus dem Leben der biblischen Persönlichkeiten berichten von ihren Begegnungen mit der göttlichen Dimension und mit Gott selbst.
Wozu sollen diese Narrative nützlich sein? Es geht um die Erzählungen, die in einer Zeitperiode von 1500 Jahren entstanden sind. Diese Sammlung wurde den Menschen zum Segen; sie gaben sie von einer Generation zur nächsten weiter. Die Bibel ist auch kulturhistorisch bedeutsam; sie zählt zum Weltkulturerbe! In der Bibel als einer Literatursammlung wird von Akteuren berichtet, die viel über Gott und sein Eingreifen in die Geschicke dieser Welt gelernt haben. Aufmerksame Leser lernen daraus und entdecken, welche großartige Zukunft Gott für uns bereithält. Aus diesen Erzählungen lernt man auch, was man im eigenen Leben von Gott erwarten kann.
So sagt ein biblischer Zeuge in seinem Bericht „Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir betrachtet haben und unsere Hände betastet haben, vom Wort des Lebens … das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus“ (1. Johannes 1,1.3). Damit hat die Bibel einen zeugnishaften Charakter. Die Zeugen, die dabei waren, haben es aufgeschrieben, so dass spätere Leser von diesem Zeugnis in ihrem Leben einen geistlichen Nutzen haben.
Ein weiterer biblischer Zeuge berichtet: „Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er zuletzt in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn“ (Hebräer 1,1–2). In der Bibel wird auf vielerlei Weise von Gott und seinem rettenden Eingreifen in die Geschichte berichtet sowie von seinen großen Taten. Ein Mittler zwischen Gott und Menschheit wurde schon auf den ersten Seiten der Bibel angekündigt (Genesis 3,15). Schließlich erschien er in der Person Jesu Christi, in dem seine Jünger den Sohn Gottes erkannt haben.
Am Ende seines ausführlichen Berichtes über Jesus schreibt Johannes auf, wozu sein Bericht dienen soll: „Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr, weil ihr glaubt, das Leben habt in seinem Namen“ (Johannes 20,30–31). Den biblischen Autoren geht es um den Glauben. Wenn Menschen die Berichte lesen, soll etwas mit ihnen passieren – sie werden vom Unglauben oder möglicherweise von einer Art Gleichgültigkeit in die Welt der biblischen Erzählungen mit hineingenommen und zum Glauben geführt.
Deswegen legen die Schreiber der Bibel einen großen Wert auf ihre Glaubwürdigkeit. So berichtet Lukas in den ersten Zeilen seines Evangeliums: „Da es nun schon viele unternommen haben, Bericht zu geben von den Geschichten, die sich unter uns erfüllt haben, die uns das überliefert haben, die es von Anfang an selbst gesehen haben und Diener des Wortes gewesen sind, habe auch ich’s für gut gehalten, nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe, es für dich, hochgeehrter Theophilus, in guter Ordnung aufzuschreiben, auf dass du den sicheren Grund der Lehre erfährst, in der du unterrichtet bist“ (Lukas 1,1–4). Lukas arbeitet wie ein Historiker, er sammelt das Material und verfasst aufmerksam seinen Bericht, damit die Leser einen sicheren Grund haben, ihn zu glauben.
Schließlich berichtet Paulus in seinen Briefen: „Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben“ (1. Korinther 15,3–6). Das, was Paulus von Jesus berichtet, haben viele Menschen gesehen. Paulus redet von den 500, von denen die meisten zu seiner Zeit noch befragt werden konnten. Die Bibel hat einen zeugnishaften Charakter, sie berichtet von wahren historischen Ereignissen, und die Zeugen stehen für ihr Zeugnis.
Man fragt sich letztendlich, was kann dieser Jesus den Menschen bringen? Johannes verrät einen Teil der Guten Nachricht von Jesus gleich zu Beginn seines Evangeliums: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen“ (Johannes 1,1–4). Jesus, der von Gott gekommen ist, um die Erde mit dem Himmel zu verbinden, wird hier mit dem schöpferischen Wort verglichen, dass das Leben selbst bringt. Diejenigen, die auf Jesus hoffen, denen soll es an einem erfüllten Leben in der Gegenwart und auch in der Zukunft nicht mangeln.
Dass es um das Leben der Menschen geht, betont die Bibel schon in den Anfängen, als Mose den Israeliten die ersten fünf Bücher als eine Weisung Gottes übergab und dazu sagte: „Denn es ist nicht ein leeres Wort an euch, sondern es ist euer Leben“ (5. Mose 32,47). Die Bibel als ein Buch des Lebens ist ein Buch der Hoffnung und ein Buch, das seinen Lesern heute schon ein sinnerfülltes Leben verspricht und eine Zukunft, die es wert ist, erwartet zu werden. Dieser zeugnishafte Charakter der Bibel ist für einen Christen wichtiger als wissenschaftliche Untersuchungen. Deswegen kann ein Christ seinen Glauben nicht an die Seite stellen, wenn er die Worte des Lebens studiert, denn diese Worte sind auch sein Leben.
© Igor Lorencin, Ph.D. (USA), Dozent für Neues Testament an der Theologischen Hochschule Friedensau