Dem Hören auf der Spur

16. Apr.. 2025 / Wissenschaft & Forschung

Dem Hören auf der Spur. Einblick in die Musiktherapie

Das Hören hat einen vielfachen Sinn. Für mich gehört das Hören seit Jahrzehnten zum professionellen Handwerkszeug – sowohl als Musikerin, Musiktherapeutin als auch als lehrende, forschende und immer wieder selbst lernende Professorin. Hören vermittelt Schwingungen über Sprache, Musik und Geräusche aus dem Außen nach Innen und gibt Aufschluss über Schwingungsverhältnisse in der Welt und im Miteinander.

Ich schreibe diesen Artikel aus einer existenziellen Situation heraus. Durch meine mich begleitende Krebserkrankung mit wiederholten Metastasierungen befinde ich mich seit vielen Jahren in Schwingungen auf einer Achterbahn zwischen aussichtslos und wieder aussichtsreich. Auch wenn der Tod an sich banal erscheint, ändert sich doch mit der akuten persönlichen Bedrohung alles. Das Innen, das Außen und das Dazwischen definieren sich mir neu. Wenn ich in mich hineinhöre, gibt es Räume zwischen Leben und Tod und Himmel und Erde. Angesichts dieser andauernden Endlichkeitsproben ereignen sich in mir verschiedenste Zwischenräume.

Wohin richte ich meine Aufmerksamkeit? Was hört sich wie für mich an? Auf welchem Ohr bin ich taub? Welche Stimmen sprechen mich gerade besonders an?

Hören ist beeinflusst von Erwartungen, Geschmack, Prägungen, Entscheidungen, Vorstellungen und vielem mehr. Hören ist Beziehung. Hören ist die Grundlage für Verständigung und Verstehen. Alles, was wir uns hörend erschließen, beinhaltet mehr als das zuerst Gehörte.

Wenn mir etwas wichtig wird, werde ich immer leiser und höre zunehmend nach innen, während das Außen in meinem sich erweiternden Blickfeld bleibt.

Silvester: Ich sitze im Berliner Dom mit unzähligen fremden Menschen. Wir alle haben uns hier versammelt, um unter einem nächtlichen „Orgel-Feuerwerk“ den Übergang vom alten zum neuen Jahr würdig zu vollziehen. Es scheint eine Art stiller Übereinkunft zu existieren, dass dieser Abend nachhaltige Resonanzen mit sich bringt. Als der letzte Ton verklungen ist, bleibt es ungewöhnlich lange ganz still, bevor sich ein nicht enden wollender frenetischer Applaus „entwickelt.“

Nach intensiven Hörerlebnissen habe ich den Eindruck, dass von einer Sekunde auf die andere alles ganz anders ist als vorher.

Musikhören als Musiktherapie

Achte auf das feine, unaufhörliche Geräusch. Es ist die Stille. Horche auf das, was man hört, wenn man nichts mehr vernimmt (Paul Valéry).

Das Wahrnehmungstraining mit Musik und die von Christoph Schwabe entwickelte Regulative Musiktherapie sind musiktherapeutische Verfahren, in denen das Hören die entscheidende Rolle spielt.

Die Musik ist und bleibt in ihrer Bedeutung unkonkret und wirkt folglich nicht wie ein Medikament. So sind die Teilnehmer stets eingeladen, beim Hören von Musik ähnlich einer Achtsamkeitsmeditation in wahrnehmender Aufmerksamkeit zu verweilen. Sowohl innere Vorgänge, wie beispielsweise Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, Körperwahrnehmungen und Bilder, als auch im Außen Gehörtes, wie Musik, Umgebungsgeräusche, Stille und mehr, wollen beachtet sein. Die angestrebte Entwicklungsrichtung heißt: „Vom Nicht-Wahrhaben-Wollen zum akzeptierenden Wahrnehmen.“ Auf diese Weise regulieren sich körperliche und seelische Fehlspannungen, in deren Folge neue Zuversicht im Sinne wiederentdeckter und/oder weiterentwickelter Selbstwirksamkeitserwartung erlebt wird.

Aus den schwindelerregenden Pendelbewegungen zwischen Leben und Tod arbeite ich mich hörend insbesondere immer wieder mit der Regulativen Musiktherapie in ein lebendiges Schwingen und Fließgleichgewicht zurück.

Prof. Dr. sc. mus. Petra Jürgens

Begründerin und bis März 2025 Leiterin des Studiengangs „Musiktherapie“ sowie Leiterin des Instituts für Musiktherapie an der Theologischen Hochschule Friedensau. Mit diesem Beitrag gibt Prof. Petra Jürgens einen Einblick in die Fragestellungen, die den Studierenden in den Lehrveranstaltungen der Musiktherapie als kleine Anregung vorgelegt werden. Der Beitrag wurde für „Unser Friedensau“ stark gekürzt. Der Text ist nachfolgend vollständig abgedruckt: Originalbeitrag aus der Zeitschrift Musik und Gesundsein (2024), Nr. 45.

Prof. Dr. sc. mus. Petra Jürgens | Theologische Hochschule Friedensau
Die Autorin des Blog-Beitrages: Prof. Dr. sc. mus. Petra Jürgens
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